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Was sich in Deutschlands Kliniken ändern soll

Was sich in Deutschlands Kliniken ändern soll

© David Henning
Bereicherten das Abschlussplenum der Jahrestagung mit ihrer Expertise: Martina Wenker, Prof. em. Dr. Matthias Graf von der Schulenburg, Birgit Pätzmann-Sietas, Dr. Andreas Philippi, Prof. Dr. Boris Augurzky und Prof. Dr. Leonie Sundmacher. (v. l.)

Die Ampel-Koalition hat sich vorgenommen, notwendige Reformen für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung auf den Weg zu bringen. Wie reformiert man bei laufendem Betrieb ein System von 1700 Kliniken, von denen 60 Prozent der Einrichtungen laut Krankenhaus-Rating-Report des RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung tief in den roten Zahlen stecken? Sechs Expertinnen und Experten, darunter zwei Mitglieder der ‚Regierungskommission Krankenhaus‘, diskutierten im Abschlussplenum der 15. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Gesundheitsökonomie an der Leibniz Universität Hannover darüber, wie die Kliniklandschaft der Zukunft aussieht, warum die Reform auch aus Sicht der Patientinnen und Patienten gedacht werden muss, welche Bedeutung zukünftig regionale Gesundheitszentren haben und warum Pflegeberufe mehr Kompetenzen erhalten müssen.

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Dr. Andreas Philippi, Niedersächsischer Minister für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Gleichstellung, brachte es gleich zu Beginn der Podiumsdiskussion auf den Punkt: „Das größte Hindernis der Krankenhausreform ist, dass Bund und Länder sich auf ein gemeinsames Finanzierungsmodell einigen müssen.“

 

Nach Ansicht von Prof. Dr. Boris Augurzky, Kompetenzbereichsleiter Gesundheit im RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung, werden die Reformen nach ersten Schätzungen 40 Milliarden Euro kosten. Diese Lasten sollen sich Bund und Länder teilen. Augurzky gehört zu dem 17-köpfigen Expertengremium, das seit Juli 2022 als ‚Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung‘ vier Stellungnahmen vorgelegt und Leitplanken für eine auf Leistungsgruppen und auf Versorgungsstufen basierende Krankenhausplanung erarbeitet hat. Danach soll es zukünftig Grundversorger für die medizinische Basisversorgung sowie Notfälle, Schwerpunktversorger mit Fachabteilungen wie Kardiologie, Frauenheilkunde oder Geburtshilfe und Maximalversorger mit dem kompletten medizinischen Know-how geben.

Die Gesprächsrunde unter Leitung von Prof. Dr. Leonie Sundmacher, Gesundheitsökonomin an der Technischen Universität München und ebenfalls Mitglied in der Regierungskommission, war sich schnell einig: Wenn wir weiterhin flächendeckend eine gute medizinische Versorgung bieten wollen, müssen wir die Kräfte bündeln. „Die Reform ist notwendig, denn Krankenhaus, das ist staatliche Daseinsvorsorge“, so Martina Wenker, Präsidentin der Ärztekammer Niedersachsen.

Prof. Dr. Matthias Graf von der Schulenburg, Emeritus der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der LUH, hat als wissenschaftliches Mitglied der Enquete-Kommission des Niedersächsischen Landtages Erfahrung bei der Umsetzung des Reformvorhabens gesammelt. Die Kommission war nach seiner Meinung erfolgreich, „weil sie parteiübergreifend zu Handlungsoptionen gekommen ist und ihre Empfehlungen aus Sicht der Patienten formuliert hat.“ Sie regte an, durch die Einrichtung regionaler Gesundheitszentren die Versorgung im ländlichen Bereich zu verbessern und betrachtet diese auch als Gegenmittel für den drohenden (oder schon vorhandenen) Landärzt*innenmangel. Die Kommission beschreibt die regionalen Gesundheitszentren in ihrer Empfehlung als „erweitertes Ärzt*innenhaus“. Zu den Basiselementen, die in jedem Gesundheitszentrum vorhanden sein sollen, gehören ambulante fachärztliche Versorgung, Erreichbarkeit rund um die Uhr, Betten zur Kurzzeitpflege sowie die Kooperation unterschiedlicher ärztlicher und nichtärztlicher Fachgruppen. Als optionale Elemente führt der Bericht weitere Fachbereiche wie zum Beispiel Apotheken, Reha, Optiker, ein ambulantes OP-Zentrum, Tagespflege, eine Rettungswache und von der Berufsgenossenschaft zugelassene Durchgangsärzt*innen auf.

Welche entscheidende Rolle die Reform auch bei der Sicherstellung des medizinischen Fachpersonals spielt, macht Boris Augurzky wenige Tage vor der Tagung im Interview mit der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung“ deutlich: „Um solch einschneidende Reformen kommt niemand mehr herum. Wer jetzt noch auf der Bremse steht, wird schon bald sein blaues Wunder erleben – wenn nämlich die Fachkräfte nicht mehr ausreichen, um alle Leistungen wie gewohnt anbieten zu können.“

Für Birgit Pätzmann-Sietas, Präsidiumsmitglied im Deutschen Pflegerat, „muss die Reform vor allem Unruhe aus dem Markt nehmen und den Ruf der Branche zügig ändern.“ Erfahrungen zeigen, dass Pflegekräfte nicht weiter als 20 bis 30 Kilometer zum Arbeitsplatz fahren wollen. Wenn pflegendes Fachpersonal mehr Kompetenzen erhält, so steigt auch die Mitarbeiterbindung. Für Pätzmann-Sietas sind regionale Gesundheitszentren durchaus unter pflegerischer Leitung vorstellbar.

Andreas Philippi erinnerte in seiner Funktion als Niedersächsischer Gesundheitsminister an einen wichtigen Aspekt in der Diskussion um Reformen. „Unsere Gesundheitspolitik muss den Menschen Sicherheit geben.“ Er sprach in diesem Zusammenhang „von einer großen Schablone, die vor Ort passend gemacht werden muss“. Soll heißen, auch wenn es betriebswirtschaftlich erwiesen ist, dass Krankenhäuser mit 600 bis 900 Betten am effizientesten arbeiten, so müssen die Maßnahmen auch die regionalen Besonderheiten und die Anfahrtswege für Patienten und Angehörige berücksichtigen.

„Wir haben es mit der Ökonomisierung der Medizin übertrieben. Das müssen wir zurückdrehen“, twitterte Karl Lauterbach im Februar. Oder wie es Boris Augurzky im bereits erwähnten Interview ausdrückte: „Ohne einen Konsens vor Ort kommt man keinen Schritt voran. Wir müssen die Menschen mitnehmen und die Veränderungen behutsam angehen.“

Abschließend bleibt festzustellen, diese Podiumsdiskussion war ein gelungener Abschluss für die 450 Gäste der Jahrestagung. Prof. Dr. Annika Herr, Tagungspräsidentin und Gastgeberin, zog ein zufriedenes Resümee und übergab den Staffelstab an Prof. Dr. Amelie Wupperman, Organisatorin der 16. Jahrestagung der dggö im März 2024 an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.

 

Autorin: Birgitt Baumann-Wohlfahrt