Er gehörte wohl zu den persönlichsten Momenten dieses Nachmittags, als Dr. Annika Schreiber an das Rednerpult trat und sich an ihren Vater wandte: „Papa, wir sind unfassbar stolz auf Dich.“ Diese Worte haben nicht nur Professor Dr. Ulrich Schreiber und seine anwesenden Familienmitglieder, sondern alle Gäste gerührt, die sich am 26. April im Konzertsaal des Königlichen Pferdestalls eingefunden haben. Das 1888 für die Reiterstaffel des königlichen Ulanenregiments errichtete Gebäude in Hannovers Nordstadt mit seinem beeindruckenden Kreuzgewölbe war an diesem Tag ein würdiger Ort für eine ganz besondere Promotionsfeier zu Ehren einer herausragenden Forscherpersönlichkeit.
Die Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät der Leibniz Universität Hannover verlieh am 26. April Professor Dr. Ulrich Schreiber den akademischen Grad eines Doktors der Wirtschaftswissenschaften honoris causa. Seit 1999 bis zu seiner Emeritierung 2019 Inhaber des Lehrstuhls für Betriebswirtschaftliche Steuerlehre an der Universität Mannheim, Forschungsprofessor am Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen, ist Ulrich Schreiber der vierte Wissenschaftler, dem die Fakultät seit ihrer Gründung 1974 die Ehrendoktorwürde verleiht.
In ihren Reden würdigten Professor Dr. Maik Dierkes, Dekan der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät, Professor Dr. Volker Epping, Präsident der Leibniz Universität Hannover, und Professor Dr. Kay Blaufus, Leiter des Instituts für Betriebswirtschaftlichen Steuerlehre, die Verdienste eines Ausnahmewissenschaftlers und renommierten Steuerforschers.
Maik Dierkes erinnerte in seiner Eröffnung an die Jahre zwischen 1985 und 1999, in denen der Geehrte als Professor für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Betriebswirtschaftliche Steuerlehre an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät lehrte und forschte. Er betonte, dass Professor Dr. Schreiber schon früh die Bedeutung der interdisziplinären Forschung erkannte und erfolgreich praktizierte. Eine Erkenntnis, die sich in den Anfangsjahren der Fakultät erst durchsetzen musste, wie eine persönliche Absage anlässlich der Gründungsfeier aus dem Jahr 1975 zeigte. Maik Dierkes zitierte zur Erheiterung der Gäste aus dem Brief, in dem ein Fakultätsmitglied, dem Vernehmen nach, ein Betriebswirt, dem Dekan sein Fernbleiben aufgrund der Dominanz der Volkswirte im Festprogramm mitteilte.
Professor Dr. Epping beschrieb in seinem Grußwort die Reputation, die nicht nur der Geehrte bei der Verleihung einer Ehrendoktorwürde erfährt, sondern auch die Universität, die sie vergibt, mit den herzlichen Worten: „Der war mal bei uns und ist jetzt ein ganz Großer.“ Er würdigte die herausragende Fähigkeit und den Erfolg Professor Dr. Schreibers, mit welchen er wissenschaftliche Analysen und Politikberatung verbindet. So ist Ulrich Schreiber als einer der wenigen Betriebswirte seit dem Jahr 1997 Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen. Mit Blick auf die aktuellen Herausforderungen der Steuerpolitik betont Professor Dr. Epping: „Es ist wichtig, dass solche Koryphäen wie Sie in diesen Gremien dabei sind.“
Professor Dr. Blaufus würdigte in seiner Laudatio ausführlich die Rolle Ulrich Schreibers als unschätzbarer Vordenker für die Betriebswirtschaftliche Steuerlehre in Deutschland: „Es ist selten, dass sich Forscher gegen den Mainstream stellen. Herr Schreiber hat hingegen gleich zweimal entscheidend an einer methodischen Rundumerneuerung der Betriebswirtschaftlichen Steuerlehre mitgewirkt.“
Professor Dr. Ulrich Schreiber hat die Bedeutung der empirischen Steuerforschung frühzeitig erkannt. Er steht mit seiner ökonomischen Analyse des Steuerrechts, die die quantitative Analyse der betriebswirtschaftlichen Wirkungen des Steuerrechts in den Mittelpunkt der Überlegungen stellt, für einen Paradigmenwechsel innerhalb der Steuerlehre.
In seinem Festvortrag, in dem er der Frage nachging, was die Steuerlehre in der Steuerpolitik bewirkt hat, stellte er fest: „Mit dem Netzwerk für empirische Steuerforschung (NeSt) des Bundesministeriums der Finanzen ist ein Anfang für eine stärker evidenzbasierte Steuerpolitik gemacht. Dies kann zum einen helfen, die steuerliche Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands zu stärken, die sich seit der letzten großen Unternehmenssteuerreform des Jahres 2008 aufgrund langanhaltender steuerpolitischer Passivität deutlich verschlechtert hat. Zum anderen sind empirische Erkenntnisse auch bei der weiteren Gestaltung des internationalen Systems der Unternehmensbesteuerung im Rahmen der OECD unerlässlich.“
Die Gästeliste am 26. April machte deutlich, welch‘ hohes Ansehen Ulrich Schreiber genießt – als Forscher und als Mensch. So waren unter den Anwesenden nicht nur sein akademischer Lehrer, Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Otto H. Jacobs, sondern auch seine Schüler, darunter Nachwuchsforscher, die eigens aus der Schweiz angereist sind. In einer Festschrift anlässlich seines 65. Geburtstages, den Ulrich Schreiber 2015 beging, attestieren die Autoren dem Jubilar „eine vornehme Zurückhaltung in fachlicher Hinsicht sowie hinsichtlich seiner persönlichen Neigungen.“ Seine Dankesworte nach der Ehrung bestätigen diese Beobachtung: „Diese Ehrung nehme ich mit Dankbarkeit, aber auch in Demut an. Dankbar, weil diese Auszeichnung sichtbar macht, dass eine lange Zeit der Forschung und Lehre nicht ganz ohne eine Spur geblieben ist. Demütig, weil wissenschaftliche Arbeit nur zu vorläufigen Resultaten führt.“ Auch deshalb hat Kay Blaufus am Ende seiner Laudatio mit einem Zitat des Schriftstellers Theodor Herzl allen anwesenden Gästen aus dem Herzen gesprochen: „Die Ehren gebe man dem, der sie nicht sucht!“
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Autorin: Birgitt Baumann-Wohlfahrt