Interview mit Dipl.-Ök. Nicole May

Ein winzig kleines Virus fordert die Menschen im Wissenschaftsbetrieb in noch nie da gewesener Weise heraus. Und das Ende ist noch nicht absehbar. Aus Sicht der Wissenschaft befinden wir uns gegenwärtig in einem großen realen Labor und experimentieren im laufenden Betrieb. Aber Krisen, das lehrt die Geschichte, sind auch Wendepunkte. Wie werden wir in fünf Jahren auf das Sommersemester 2020 schauen?

Diese und vier weitere Fragen beantwortet Nicole May, Leiterin des Studiendekanats der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät an der Leibniz Universität Hannover.

© Finn Winkler

 

Frau May, erinnern Sie sich noch an den Moment, als Ihnen bewusst wurde, dass dieses Sommersemester so ganz anders sein wird, als die bisherigen?

Ja. Wir saßen am 11. März in einer Gesprächsrunde des Fakultätsmanagements zusammen. Unser Geschäftsführer, Herr Dr. Lehne, fragte uns, inwieweit wir in den einzelnen Bereichen auf eine mögliche Umstellung unserer Tätigkeiten ins Home-Office vorbereitet wären. Da wurde mir zum ersten Mal bewusst, dass sich die Corona-Situation verschärft und gravierende Veränderungen bevorstehen könnten. Am nächsten Tag berichteten meine Kinder, dass ihre Schule bis voraussichtlich 20. April geschlossen wird. Damit wurde mir dann klar, dass auch das Sommersemester 2020 aller Wahrscheinlichkeit nach nicht wie geplant am 14. April starten wird.

 

Sie haben in den vergangenen beiden Wochen dafür gesorgt, dass die Studierenden trotz der gegenwärtigen Einschränkungen gute Bedingungen für ihre Wiederholungsprüfungen vorgefunden haben. Welche Erfahrungen nehmen Sie in die Klausurenphase ab 27. Juli mit?

Für die kommenden Prüfungen bin ich aufgrund der Erfahrungen der letzten beiden Wochen sehr optimistisch.

Die Corona-Situation hat die Fakultät nicht nur in der Lehre, sondern auch bei der Organisation der Prüfungen vor neue Herausforderungen gestellt. Als Anfang April die Frage aufkam, ob wir die Prüfungen überhaupt durchführen können beziehungsweise dürfen, war die Gesamtsituation von sehr viel Unsicherheit geprägt. Täglich kamen neue Informationen in den Medien. Die Abiturprüfungen in Niedersachsen wurden verschoben und die Dynamik der Veränderungen war enorm. Herr Prof. Blaufus, unser Studiendekan, und ich haben uns bei der Entscheidung daran orientiert, wie auf Landesebene zu den Abiturprüfungen entschieden wird. Als klar war, dass die Abiturprüfungen stattfinden, sprach aus unserer Sicht auch nichts mehr gegen die Durchführung unserer Wiederholungsprüfungen.

Die anschließende Planung war geprägt von den neuen Hygiene- und Abstandsregelungen. Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich den Studierenden danken, die sich vor und im Gebäude sowie in den Prüfungsräumen sehr diszipliniert an die zuvor kommunizierten Regeln gehalten haben.

Durch die Bereitschaft der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus dem Fakultätsmanagement und der studentischen Hilfskräfte, denen ich hier auch noch einmal danken möchte, konnten wir ein Team bilden, das die Einlass- und Legitimationskontrollen vor den Prüfungsräumen übernommen hat.

Wir werden mit dieser Unterstützung auch die im Vergleich zu den Wiederholungsprüfungen zahlenmäßig größeren Prüfungen ab 27. Juli gut durchführen können. Ich bin mir sicher, dass wir wieder auf die tolle Hilfe aus dem Fakultätsmanagement zählen können und die Situation gemeinsam mit den Instituten bewältigen werden.

 

Die individuelle Beratung Studierender nimmt einen großen Teil Ihres Arbeitsalltags in Anspruch. Bis auf Weiteres ist sie jedoch nur telefonisch oder per Mail möglich. Haben sich die Zahl der Ratsuchenden und die Themen seit Beginn des Sommersemesters verändert?

Ja, die Zahl der Nachfragen hat sich in den letzten Wochen deutlich erhöht, da durch die Corona-Situation neue Fragenstellungen aufgetreten sind. Da uns auch schon vor der Corona-Situation viele Anfragen von Studierenden oder Studieninteressierten per E-Mail oder telefonisch erreicht haben, konnte die Umstellung auf digitale Sprechstunden unkompliziert durchgeführt werden. Zu Beginn der Corona-Situation gab es eine Vielzahl von Nachfragen zu den Bachelor- und Masterarbeiten. Als die Gebäude der Universität einschließlich der Bibliotheken Mitte März nach und nach geschlossen wurden, waren viele Studierende gerade dabei, ihre Abschlussarbeiten anzumelden oder abzugeben. Wir haben im Studiendekanat die Prozesse inzwischen digitalisiert. Die Studierenden können jetzt sowohl ihre Anmeldungen als auch die fertigen Abschlussarbeiten per E-Mail im Studiendekanat abgeben.

 

Der Bewerbungszeitraum für die Bachelor- und Masterstudiengänge des Wintersemesters 2020/2021 hat in dieser Woche begonnen und das Team des Studiendekanats plant bereits die Lehrveranstaltungen des nächsten Semesters. Welche sind nach Ihrer Meinung die drei wichtigsten Aufgaben in der Studienorganisation, wenn wir in ein weiteres digitales Semester gehen sollten?

Sollte das Wintersemester 2020/2021 ein Onlinesemester sein, dann stellt die Betreuung und Unterstützung der Erstsemester sicher eine besondere Herausforderung dar. Der Übergang von der Schule zur Universität ist erfahrungsgemäß für viele Studienanfängerinnen und Studienanfänger ein großer Schritt. In „normalen“ Zeiten werden sie mit Präsenzmaßnahmen wie der Orientierungsphase, Einführungskursen, dem Mentoring-Programm der Fakultät, Vorkursen und Tutorien bestmöglich begleitet. Diese wichtige Unterstützung zum Start des Studiums auch in einem Onlinesemester zu gewährleisten, wird für alle an der Lehre Beteiligten eine herausfordernde Aufgabe. Und die müssen wir im Sinne der Studierenden gemeinsam lösen.

Wir werden zum Wintersemester 2020-2021 erstmalig seit 2010 wieder weniger als 500 Studierende im ersten Semester Bachelor Wirtschaftswissenschaft begrüßen. Aufgrund der Umstellung in Niedersachsen von G8 auf G9 und aufgrund von Sparmaßnahmen auf Landesebene hat sich die Zahl der Studienplätze im Bachelor Wirtschaftswissenschaft von 589 auf 474 Studienplätze und im Bachelor Wirtschaftsingenieur von 223 auf 182 Studienplätze reduziert. Diese deutliche Reduzierung vereinfacht auch ein bisschen unsere Planung der Lehrveranstaltungen.

Da noch nicht feststeht, ob das Wintersemester als Online-Semester laufen wird, erfolgt die Lehrplanung erst einmal auf Basis von Präsenzlehre. Gegebenenfalls wird dann, wie schon zum Sommersemester 2020, auf Online-Lehre umgestellt. Das bedeutet für die Lehrenden möglicherweise eine erneute Änderung der Planung. Aber der Wechsel von Präsenzlehre auf Onlinelehre ist deutlich einfacher als umgekehrt. Bei der Vorbereitung von Präsenzlehre müssen Räume und Zeitfenster geplant werden und das bedarf einer größeren Vorlaufzeit.

 

Dürfen wir Sie abschließend um eine Prognose bitten? Wenn Sie in 5 Jahren auf das Sommersemester 2020 zurückblicken, welche Veränderungen hat die Corona-Pandemie im Fakultätsalltag hinterlassen?

Durch die Corona-Situation sind Bereiche in der Lehre und Verwaltung viel stärker digitalisiert worden, als das in einem „normalen“ Semester der Fall gewesen wäre. Einige dieser Errungenschaften, wie z. B. verschiedene Online-Formate, werden ihren festen Platz in der Lehre gefunden haben und die Präsenzlehre gewinnbringend ergänzen. Davon profitieren sowohl die Lehrenden als auch die Studierenden, da inzwischen die Generation Y der „digital natives“ an unserer Fakultät studiert.

Vielen Dank für Ihre Auskünfte.

Die Fragen stellte Birgitt Baumann-Wohlfahrt