Interview mit Johannes G. Jaspersen

Das Corona-Virus fordert die Menschen im Wissenschaftsbetrieb heraus. Und das Ende ist noch nicht absehbar. Aus Sicht der Wissenschaft befinden wir uns in einem großen realen Labor und experimentieren im laufenden Betrieb. Aber Krisen, das lehrt die Geschichte, sind auch Wendepunkte.

Warum ein angemessener Mix aus Digitalität und Präsenz die Lehre bereichert und weshalb Hannover ein attraktiver Ort für Versicherungswissenschaftler ist, beantwortet Johannes G. Jaspersen, Professor für Versicherungs- und Gesundheitsmanagement am Institut für Versicherungsbetriebslehre der Leibniz Universität Hannover.

Herr Professor Jaspersen, Ihr Start an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät am 1. April 2020 fiel in ausgesprochen bewegte Zeiten. Der Präsident der Leibniz-Universität hatte erst wenige Tage zuvor Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Studierende und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter darauf eingeschworen, gemeinsam die anstehenden Probleme mit Engagement, Kreativität, Solidarität und Durchhaltevermögen zu lösen. Mit welchem Fazit blicken Sie heute, vier Monate später, auf Ihr erstes digitales Semester?

Das Semester stellte für mich eine doppelte Veränderung dar. Zum einen musste ich im Umfeld einer neuen Universität ankommen und zum anderen meine Lehre komplett auf ein Online Format umstellen. Dies ging natürlich nicht einfach, aber die Fakultätsleitung und das tolle Team am Institut für Versicherungsbetriebslehre haben mir den Prozess so gut gestaltet, wie es unter den gegebenen Umständen möglich war.

Die Onlinelehre stellt für uns alle eine Herausforderung dar. Ich habe mein Lehrprogramm mit einer Kombination aus synchronen Videokonferenzen für Seminare und aufgenommenen Videos für Vorlesungen bestritten. Dies hat zwar einen gewissen Mehraufwand verursacht, wurde von den Studierenden aber gut aufgefasst und hat auch technisch ganz gut geklappt. Ich denke also, dass die Lehre im Angesicht der Umstände ganz gut funktioniert hat. Auch hier muss ich wieder auf meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verweisen, ohne die ein so reibungsloser Ablauf kaum möglich gewesen wäre.

 

Der Präsident der TU Berlin, Prof. Dr. Christian Thomsen, hat kürzlich in einem Pressebeitrag festgestellt, „dass die Corona-Pandemie uns zwingt, unser Handeln grundlegend zu hinterfragen“. Als Vertreter der TU9-Allianz, zu der auch die Leibniz Universität gehört, plädiert er dafür, das Lehren und Lernen zu verändern und fordert einen Digitalpakt für die Lehre an Hochschulen. Welche Chancen bieten sich nach Ihrer Meinung für Qualität und Didaktik der Lehre, wenn wir die traditionelle, umfassende Präsenzlehre auf den Prüfstand stellen, sie durch hybride Formate ergänzen und die digitale Lehre weiterentwickeln?

Ich denke, asynchrone Online-Lehre bietet Chancen für all diejenigen, die eine regelmäßige Anwesenheit im Hörsaal nicht garantieren können. Es setzt allerdings auch voraus, dass sich die Studierenden gut selber organisieren und die angebotenen Inhalte regelmäßig im Laufe des Semesters abfragen und verinnerlichen.

Des Weiteren zeigt das Semester, wie gut man gewisse Hilfsmittel aus dem digitalen Lehrportfolio zur Ergänzung einer Vorlesung einsetzen kann. Ich verwende in meiner Vorlesung sehr aktiv das Forum in Stud.IP, was auch bei den Studierenden auf breite Zustimmung trifft. So kann man via Email gestellte Fragen - natürlich anonymisiert - öffentlich im Forum beantworten und hält alle Studierenden auf demselben Wissensstand bezüglich der fachlichen Inhalte und der Anforderungen in der Klausur.

 

Sie haben zwischen 2006 und 2017 in beeindruckender Zeit an der Ludwig-Maximilians-Universität München studiert, promoviert und einen Ruf als Juniorprofessor für Behavioral Decision-Making and Insurance erhalten. Sie zählten zu den jüngsten Professoren der Universität. Wenn Sie zurückblicken, wer oder was hat Sie in Ihrer akademischen Entwicklung geprägt?

Einen sehr großen Einfluss auf meine akademische Entwicklung hatten mit Sicherheit die Professoren, unter denen ich studiert habe und mit denen ich später zusammenarbeiten konnte. Mein Doktorvater Andreas Richter und mein Koautor Justin Sydnor haben meine Art und Weise, Forschung zu betreiben, aktiv geprägt.

Sehr wichtig waren auch die gleichaltrigen Kollegen, mit denen ich zusammen promoviert und geforscht habe. Vijay Aseervatham, Richard Peter und Marc Ragin, um nur einige Namen zu nennen, sind nicht nur meine Kommilitonen und Koautoren, sondern auch gute Freunde. Sie haben mich inspiriert, interessante Fragen zu stellen, genaue Forschungsarbeit zu leisten und bei der ganzen Sache den Spaß an der akademischen Arbeit nicht zu verlieren.

Zuletzt sind auch die Studierenden, welche ich unterrichten durfte, ein entscheidender Faktor gewesen. Man lernt nie so viel über eine Sache, wie wenn man selbst versucht, sie jemand anderem beizubringen.

 

Sie sind nach 14 Jahren in Bayern, nur unterbrochen durch ein Jahr an der London School of Economics and Political Science, an den Ort Ihrer Kindheit und Jugend zurückgekehrt. Welche Beweggründe haben Ihre Entscheidung für Hannover beeinflusst?

Hannover ist für einen Versicherungswissenschaftler ein sehr attraktiver Standort. Die starke Repräsentanz der Versicherungsindustrie, die enge Kollaboration der unterschiedlichen Fakultäten im House of Insurance und die historisch wichtige Rolle des Instituts für Versicherungsbetriebslehre in der deutschen Versicherungswissenschaft waren alles gute Argumente für eine Bewerbung in Hannover.

Die Tatsache, dass die Leibniz Universität eine gesamte Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät hat, ist für mich ebenfalls von Vorteil, da ich in meiner Forschung zwischen der BWL und der VWL angesiedelt bin.

 

Bitte geben Sie uns zum Abschluss einen kurzen Einblick in Ihre aktuelle Forschung. Welchen Themen werden Sie sich in den kommenden Wochen bis zum Beginn des Wintersemesters widmen?

Aktuell beschäftige ich mich vor allem mit der Verwendung von künstlicher Intelligenz zur Erstellung von numerischen Indikatoren aus unstrukturierten Daten. Spezifisch verwenden wir beispielsweise Wahlkampfwebseiten von Politikern, um mittels maschinellem Lernen auszulesen, wie diese zur Regulierung von Märkten stehen. Den so erstellten Indikator können wir dann verwenden, um gewisse Hypothesen der politischen Ökonomie an Versicherungsmärkten zu überprüfen. Da maschinelles Lernen eine neue Methodik ist, welche sich zudem schnell weiterentwickelt, muss ich mir hier viel Methodenwissen aneignen. Die Semesterferien bieten die Chance dafür, sich in Ruhe mit solchen Inhalten auseinanderzusetzen.

 

Vielen Dank für Ihre Auskünfte.

Die Fragen stellte Birgitt Baumann-Wohlfahrt