Interview mit Evmorfia Karampournioti

Ein winzig kleines Virus fordert die Menschen im Wissenschaftsbetrieb in noch nie da gewesener Weise heraus. Und das Ende ist noch nicht absehbar. Aus Sicht der Wissenschaft befinden wir uns gegenwärtig in einem großen realen Labor und experimentieren im laufenden Betrieb. Aber Krisen, das lehrt die Geschichte, sind auch Wendepunkte.  Wie beeinflusst die jetzige das Konsum- und Einkaufsverhalten der Verbraucher? Diese und vier weitere Fragen beantwortet Evmorfia Karampournioti, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Marketing und Management der Leibniz Universität Hannover.

Frau Karampournioti, Sie haben gerade erst vor zwei Tagen eine Publikation im Journal ‚Internet Research‘ eingereicht. Bevorzugen Sie für Ihre Forschungstätigkeit den vertrauten Schreibtisch im Institut oder die Abgeschiedenheit des heimischen Büros?

Das heimische Büro war vor dem Ausbruch des Virus mein bevorzugter Arbeitsplatz für die Forschungsarbeit und insbesondere für das Verfassen von Forschungsartikeln. Das hat sich ungefähr drei Wochen nach der Schließung unserer Universität geändert. Während ich früher in der Universität alle Tätigkeiten rund um den Lehrbetrieb erledigen konnte und der örtliche Wechsel ins heimische Büro eine bessere Trennung zwischen Forschung und Lehre schaffte, ist diese räumliche Aufteilung der beiden Tätigkeitsbereiche jetzt nicht mehr möglich. Aber man hat sich arrangiert und muss noch disziplinierter die intensiven Konzentrationsphasen einplanen und einhalten, die man für den Forschungsprozess benötigt.

 

Ein Wissenschaftsmagazin hat kürzlich Ruth Mayer, Professorin für American Studies an der Leibniz Universität, mit folgenden Worten zitiert: „Was sich im Moment zeigt ist, dass da, wo Freiräume entstehen, weil es keine Vorgaben, keine Formulare und keine Gremiensitzungen gibt, in der Regel nicht das Chaos ausbricht. Die Krise setzt die intrinsische Motivation vieler Beteiligter frei." Wo erleben Sie gegenwärtig im Beruf, trotz aller Einschränkungen, die Corona-Krise als Chance?

Die Chancen sehe ich insbesondere in der Digitalisierung der Verwaltungsprozesse. Wir halten weiterhin an unseren Vorgaben und Formularen fest. Ganz verschwunden sind diese durch die Krise nicht. Jedoch gelingt eine viel flexiblere und schnellere Übermittlung der notwendigen Dokumente. Mit den richtigen Tools kann das in Zukunft sogar noch effizienter und vielleicht sogar papierlos gestaltet werden.

Zudem denke ich, dass die Krise Chancen für das Studienverhalten geschaffen hat. Das Selbststudium wurde durch das verschulte System in der Vergangenheit vernachlässigt. Stattdessen verließen sich viele Studierende nur auf die Vorlesungen und Übungen, was dem Konzept des wissenschaftlichen Studiums und des Forschens nicht gerecht wurde. Lediglich kurz vor den Klausuren begann für eine kurze Phase das Verinnerlichen der Inhalte.

In den vergangenen drei bis vier Wochen erkenne ich - insbesondere in den Masterveranstaltungen - eine Zunahme der eigenständigen Recherche und Aneignung von Wissen. Wenn es uns gelingt, dieses Verhalten auch wieder in das reguläre Studium und in die Hörsäle zu überführen, könnte es sicherlich zur Motivation der Studierenden und zur Qualität der Studienergebnisse beitragen. Zudem verschafft es den Studierenden Freiräume, die sie sich oft wünschen und die das Verantwortungsgefühl und ein gesundes Selbstbewusstsein stärken.

 

Sie forschen auch zum Verhalten von Konsumenten und dem Management von Marken. Dem Schock in der ersten Phase der Pandemie folgt jetzt ein „Post-Corona Lifestyle“ und der reicht von mental im Lockdown verharren bis alles Versäumte nachholen.  Wird das nach Ihrer Meinung nachhaltig zu einem veränderten Konsum- und Einkaufsverhalten führen? Und wie werden sich Marken auf diese Verhaltensweisen einstellen, um Konsumenten adäquat zu bedienen?

Das Konsum- und Einkaufsverhalten wird sich nachhaltig verändern. Viele Verbraucher haben während der Krise ihr bisheriges Konsumverhalten überdacht und gelernt, sich auf die wichtigsten Dinge zu konzentrieren. Vielleicht sogar genügsamer zu leben und zu konsumieren. Ob dieser Effekt jedoch langfristig erhalten bleibt, wird sich erst zeigen, wenn die Krise vollständig vorübergeht. Einige werden sicherlich wieder verstärkt zu Spaßartikeln greifen und die aufgestaute Nachfrage aufholen wollen. Bei der Produktwahl werden wir deshalb in nächster Zeit einige Veränderungen sehen.

Ich vermute, dass der Lebensmittelonlinehandel schneller wachsen wird, als erwartet. Konsumenten, die bisher den stationären Handel bevorzugten, sahen sich durch die Krise gezwungen, die verfügbaren Online-Kanäle für Lebensmittel zu nutzen. Dadurch konnten Barrieren und Bedenken überwunden und erste Erfahrungen gesammelt werden. Die Bereitschaft zum Online-Kauf von Lebensmitteln wird bei vielen auch in Zukunft erhalten bleiben und vielleicht sogar zur Gewohnheit werden.

Das Thema Marken und Verhaltensweisen der Konsumenten sehe ich kritisch. Dass Marken soziale Verantwortung übernehmen, ist äußerst wichtig und das erwarten Konsumenten schon seit jeher. In Nachkrisenzeiten kann diese Erwartungshaltung sogar noch zunehmen. Viele Marken schlagen schon einen guten Weg ein. Sie engagieren sich in unterschiedlichen Bereichen oder passen ihre Prozesse den veränderten ökologischen und sozialen Bedingungen sowie den Erwartungen und Präferenzen der Kunden an.

Es ist jedoch problematisch, wenn Verbraucher Erwartungen äußern, die sie selbst nicht einhalten. Der Umgang mit Einwegplastik in den vergangenen Krisenwochen ist ein passendes Beispiel. Bis März 2020 war es als Verpackungsmaterial und insbesondere in der Gastronomie zu Recht verpönt. Inzwischen nutzen es die Konsumenten wieder unkritischer und Einwegplastik wurde sogar zu einem Symbol zur Rettung der Gastronomie.

Ich bin der Meinung, dass Marken hinterfragen müssen, wie stark die Werte bei den Konsumenten ausgeprägt sind, die sie vorgeben, zu vertreten und denen man als Marke gerecht werden möchte. Soziale und ökologische Ziele sind unverzichtbar und diese sollten sich Unternehmen unabhängig von den Konsumentenerwartungen setzen, aber Marken müssen nicht jedem Impuls der Konsumenten bedenkenlos nachgeben.

 

Interessierte Leser der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung“ haben kürzlich durch einen Artikel eine andere Seite von Ihnen kennengelernt: die ambitionierte junge Geschäftsfrau, die für das in vierter Generation auf der Insel Euboea produzierte Olivenöl hier in Deutschland neue Vertriebskanäle erschließt. Welche Pläne haben Sie mit „Jons‘ Oilive“ und wie harmonieren dabei Traditionsbewusstsein und wissenschaftliche Expertise?

Der wichtigste Plan ist es, mit meiner Familie die Bäume weiterhin das ganze Jahr über begleiten zu können. Selbst und mit Unterstützung einiger Helfer die Bäume und Felder zu pflegen, die Oliven zu ernten, die Extraktion zu überwachen. Dafür nutze ich auch gern meinen gesamten Jahresurlaub. Neue Vertriebskanäle gewinnen wir schrittweise hinzu und geplant ist auch die Einführung von zwei neuen Produkten. Eines davon entwickeln meine Schwester und ich gerade selber und ein weiteres wird von einer Manufaktur mit unserem Olivenöl hergestellt. Die Einführung kann vermutlich 2021 stattfinden.

Das Traditionsbewusstsein und die wissenschaftliche Expertise harmonieren sehr gut. Traditionsbewusstsein geht damit einher, das Wissen, die Expertise und Verantwortung über Generationen weiterzutragen. Selbiges geschieht in der Wissenschaft. Die wissenschaftliche Expertise hat mir insbesondere dabei geholfen, bisherige Vorgehensweisen nachzuvollziehen, diese zu adaptieren und mit der Zeit eine stärkere Intuition für die Landwirtschaft und insbesondere für den Olivenbaum zu entwickeln. Die Olivenfelder haben mich zwar mein ganzes Leben lang begleitet, doch plötzlich einen großen Teil der Verantwortung zu übernehmen und gleichzeitig einen neuen Weg einzuschlagen, erfordern eine enorme Anpassungsfähigkeit, Risikobereitschaft und Entscheidungsfreudigkeit. Der wissenschaftliche Background war dabei sicherlich von Vorteil.

Studierenden, die aus Familien mit landwirtschaftlichen Betrieben stammen, kann ich ans Herz legen, zumindest über die Fortführung der Betriebe nachzudenken. Durch die Expertise, die Sie im Studium erlangen, ergeben sich teilweise ganz neue Möglichkeiten für Ihre Traditionsunternehmen. So lange Ihnen die ältere Generation noch zur Seite steht, kann die Kombination alten und neuen Wissens ganz neue Potenziale eröffnen.

 

Lassen Sie uns abschließend eine Prognose wagen. Was bleibt, wenn wir in einigen Jahren auf das Sommersemester 2020 zurückblicken?

Die Einsicht, dass wir zügiger Entscheidungen treffen und diese umsetzen können. Das bezieht sich insbesondere auf die Umsetzung der Digitalisierung. Auch unsere Vorlesungsformate werden sich durch die Erfahrungen im Sommersemester 2020 verändert haben und vermutlich interaktiver gestaltet werden. Denn das digitale Semester zeigt uns auch, wie wichtig die Interaktion zwischen Studierenden und Dozenten im Hörsaal ist und dass der Erfolg von Forschung und Lehre vom Zusammenspiel beider Bereiche und Akteure abhängt.

 

Vielen Dank für Ihre Auskünfte.

Die Fragen stellte Birgitt Baumann-Wohlfahrt